Wien 2016 | Workshop | Systems Medicine | Systemökologie der Ernährung

Felix Tretter: „Systemökologie der Ernährung“

Am Donnerstag, den 31. März und Freitag, den 1. April 2016 fand im Department Sozialökonomie der WU Wien ein BCSSS Workshop des Arbeitsfeldes Systems Medicine statt, organisiert und geleitet von Felix Tretter (BCSSS).

Diskutiert wurden Fragen zu Systemtheorie, Ernährungsökologie und Sozialökologie.

Bei dem Workshop wurde auf das Thema „Ernährung“ als Beispiel fokussiert, um die kulturellen, sozialen, ökologischen und ökonomischen Bedingungen vorherrschender kollektiver Ernährungsstile zu untersuchen. Dabei ging es insbesondere um die Betrachtung der Nebenwirkungen und der Konsequenzen in Hinblick auf Ressourcen- und Energieverbrauch, etwa beim Fleischkonsum, sowie das Veränderungspotenzial in Richtung vegetarischer (und veganer) Ernährung und den Gesundheitseffekten. Diskutiert wurde ebenso die Tendenz zu mehr regionalen und saisonalen Ernährungsstilen bei zusätzlich stärkerer Urbanisierung und Landflucht.

© Felix Tretter

Um sozio-ökologische Systeme (engl.: SES) zu gestalten, muss die Kopplung von sozialen Systemen mit ihren ökologischen Systemen verstanden werden. Dazu muss im Kontext der Nachhaltigkeitsdiskussion das ökonomische System als drittes System mit in Betracht gezogen werden. So besteht, analytisch gesehen, bereits eine Art „Drei- Körper-Problem“, wie es aus der Astrophysik seit hunderten von Jahren bekannt ist: ein exaktes Verständnis der wechselseitigen Systemdynamiken ist nur näherungsweise durch Nutzung empirischer Daten möglich. Die Forschungslage wird verschärft durch die heterogene Datenlage „harter“, quantitativer Daten der Naturwissenschaften (NW) und „weicher“, qualitativer Daten der Sozialwissenschaften (SW). Für derartige „hybride“ Modelle, die qualitative sozial- und quantitative naturwissenschaftliche Daten erfassen und Dynamiken explorieren sollen, bestehen wissenschaftstheoretische Probleme. Auch erscheinen datengetriebene Modellierungen mit umfangreichen Datenbanken und konzeptbasierte Modellierungen als zwei polare Modellierstrategien. So stellt sich die Aufgabe, zu prüfen, inwieweit beispielsweise sozialer Wandel durch ökologische Veränderungen (etwa induziert durch Klimawandel) und damit verbundene ökonomische Veränderungen auftritt oder soziokultureller Wandel Ökonomie und Ökologie verändert.

Essen als tägliches physisches Bedürfnis, die Art der Nahrung und der Stil des Essens sind auch wichtig für die Gesundheitssicherung, denn es können in der Folge Erkrankungen als Unter-, Fehl und Überernährung auftreten. Darüber hinaus bestehen ökologisch zu hinterfragende, ökonomisch bedingte Produktions- und Verteilungsstrukturen der Nahrungsmittel, mit oft sogar interkontinental sich erstreckenden Verkehrswegen mit hohen Energieverbrauch und CO2-Emissionen und Klimaeffekten. Besondere Brisanz bekommt diese Situation dadurch, dass Zweifel bestehen, dass eine Weltbevölkerung von 10 Mrd. Menschen mangels adäquater Agrarfläche mit dem Ziel „gute Nahrung für alle“ noch ausreichend ernährt werden kann. Synthetische Agrar- und Lebensmitteltechnik ist eine kurzfristige Antwort, deren mittelfristige Bonität aber ungesichert ist.

Für ein nötiges Systemverständnis sind Kooperationen zwischen Ernährungswissenschaften, Medizin, Psychologie, Agrarwissenschaften, Ökonomie, Soziologie, Kulturwissenschaften usw. nicht nur auf globaler Ebene sondern auch regional und lokal („Was isst die Stadt Wien, was will sie und was soll sie essen?“) erforderlich. Im Gegensatz dazu werden nämlich meist nur Einzelaspekte zum Thema Ernährung diskutiert, und die Rahmenbedingungen und die Folgen nur qualitativ erörtert.

Bisherige Modellierungen des Ernährungssystems stützen sich hauptsächlich auf Aspektstudien, Datentabellen, oder Supply-Chain-Management Ansätzen oder auf Systems Dynamics Modellierungen oder auf bio- bzw.- sozial ökologischen Ansätzen. In der Ernährungsökologie wird bisher qualitative Modellierung angewandt.


Bei dem Workshop wurden folgende Fragen diskutiert:

Welche Konzepte, Konstrukte und Techniken sind hilfreich für das Verstehen von Systemdynamik (wie zum Beispiel Selbstorganisation, sozialer Wandel usw.)

Welche Methoden eignen sich für eine adäquate Modellierung von SES?

Wie wird die Differenz zwischen Natur- und Sozialwissenschaft überbrückt?

Ist die Datenfixierung der Modellierung sinnvoll oder brauchen wir inhaltliche Konzepte?
(Effizienzkriterien der Modellierung, Sozialökologie als Rahmen?)

Verstehen – Erklären – Beschreiben von komplexen adaptiven dynamischen Systemen
CAS: Wie komplex müssen Modelle sein?

Wie können systemische Konzepte interdisziplinär kommuniziert werden?

Wie kann ein „Flight-Simulator“ zur Ernährunsökologie konstruiert werden?

Kann quantitative Modellierung (oder Schritte Richtung mehr quantitativer Modellierung)
im Bereich Ernährung gelingen? Wie? Wer kann dabei unterstützen bzw. wer sollte zusammenarbeiten?

Wie können wir zu quantitativen Werten und Skalen qualitativer Faktoren gelangen, ohne uns im Detail zu verlieren, d.h. wie die bisherigen NutriMod-Modelle auf einer recht hohen Aggregationsebene.

Wie beschreiben wir kausale Zusammenhänge im Bereich Ernährung quantitativ?

Was ist der Mehrwert von quantitativen Modellen gegenüber den bisherigen qualitativen Modellen mit NutriMod bzw. NutriMod+ST? Wozu brauchen wir sie? Welche inhaltlichen und methodischen Forschungsfragen wären spannend?

Wer würde entsprechende Forschungsprojekte finanzieren?

Please find the presentation by Felix Tretter here.


Organisation:
 Felix Tretter (BCSSS)
Kontakt: felix.tretter@bcsss.org

Der Workshop war eine Veranstaltung in Kooperation mit:
Studiengruppe „Systemtheorie und Humanökologie“, Deutsche Gesellschaft für Humanökologie (DGH, Berlin)
Internationale Gesellschaft für Interdisziplinäre Studien (IGIS, Wien)
Department Sozioökonomie (Wirtschaftsuniverstiät Wien)

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